"Hauptsache es ist gesund!"?

Pränataldiagnostik in der Praxis

Claudia Schumann
Vortrag  IPPNW-Kongreß in Erlangen, 26.5.2001

"Hauptsache es ist gesund"
das höre ich in meiner Praxis mehrmals täglich; spätestens beim Ultraschall, wenn ich das Geschlecht nicht sehen kann – kommt dieser Satz.
Hauptsache es ist gesund –das ist

  • Auf den ersten Blick ein verständlicher und nachvollziehbarer  Wunsch jeder Frau, jeden Paares
  • Eine Verpflichtung für mich als Ärztin, gut aufzupassen, gut zu betreuen alles zu tun bzw. der Frau zu raten, damit dieses Kind einen möglichst guten Start hat
  • Darin steckt auch eine Drohung: Was ist wenn nicht? Wer ist dann schuld? Wie weit geht meine Aufgabe als Ärztin?

So löst dieser Satz immer wieder zwiespältige Reaktionen bei mir aus. Und es ist nicht einfach, damit umzugehen im Praxis-Alltag. Soll ich jetzt reden über grundsätzliches, z.B. über das „Annehmen des Kindes so wie es ist“? Darüber, was wäre, wenn es krank wäre?

Ich bin den Veranstaltern dankbar, dass sie mir als Frauenärztin die Gelegenheit gegeben haben, an diesem Forum teilzunehmen –  weil ich überzeugt bin,  dass der frauenärztliche Blick bei diesem Thema nicht fehlen darf.
Ich habe keinen theoretischen Vortrag vorbereitet. Rede also nicht über die prinzipielle Problematik von PND, wie sie mir gerade noch mal intensiv gegenwärtig wurde beim Gang durch die Dresdner Ausstellung „Der (Im)Perfekte Mensch“. Nicht über Wert des Lebens, nicht über das Thema Selbstbestimmung, nicht über die Problematik des Risiko-zentrierten Blicks auf Schwangerschaft...
Ich berichte aus der Praxis.
In Absprache mit den anderen Vortragenden sehe ich meine Aufgabe heute hier darin,

  • Ihnen einen Eindruck darüber zu vermitteln, wie in der praktischen
    Frauenheilkunde derzeit mit der Pränataldiagnostik umgegangen wird: d.h. was es gibt, und vor allem wie unterschiedlich Frauenärzte und –ärztinnen ihre Informations- und Beratungs-Aufgabe den Schwangeren gegenüber  festlegen
  • Aus diesen praktischen Erfahrungen die Diskussion weiterzuführen, wie wir alle, aber speziell die Berufsgruppe der Frauenärzte/Innen – für die Hebammen wird Magdalena Weiß sprechen -  mit diesem Thema umgehen können: Ist es möglich, und wenn, wie  ist es möglich, das Rad PND zurückzudrehen?  d.h. heißt aus dem Quasi-Screening aller Schwangeren wieder etwas Besonderes, Sonderbares zu machen. Etwas, was auch und vor allem außerhalb bzw vor der Schwangerschaft diskutiert und hinterfragt wird.

Ich  beginne mit 2 Fall-Vignetten aus meiner Praxis; beide haben mich nachhaltig beschäftigt und beeinflusst.

  • Frau A., 31 Jahre, Einzelhandelskauffrau,  ist nach 7 Jahren kinderloser Ehe endlich schwanger. Beim Ehemann war eine verminderte Zeugungsfähigkeit festegestellt worden, er war über Jahre in urologischer Behandlung. Eine weitere Sterilitäts-Behandlung fand nicht statt.
    Frau T. kommt immer allein zur Vorsorge-Untersuchung. Die Schwangerschaft läuft problemlos. Den Triple-Test lehnt Frau T. nach ganz kurzem Nachdenken ab, „bei uns war nie etwas in der Familie.“ Um die 30.Schwangerschaftswoche fällt mir auf, dass das Kind relativ klein ist, kaum mehr wächst. Zur weiteren Diagnostik überweise ich Frau A. in ein US-Zentrum. Dort wird die Diagnose „small-for date“ bestätigt, sonst keine Auffälligkeiten, und eine Fruchtwasser-Untersuchung durchgeführt, „damit wir wissen, dass mit dem Kind alles in Ordnung ist.“
    Die Mitteilung „Trisomie 21“ trifft Frau A. wie ein Hammer. Sie bricht weinend zusammen, die die Botschaft übermittelnde Ärztin sagt beschwichtigend „ Sie brauchen das Kind ja nicht zu bekommen.“
    Der Chefarzt erklärt sich ohne zu zögern bereit zu „helfen“: D.h. einen intrauterinen Fruchttod herbeizuführen, und dann die Geburt einzuleiten. Frau A. kommt kurz vor dem Eingriff noch einmal in die Praxis, um die Einweisung anzuholen. Sie ist völlig ruhig und gefasst, will keine Beratung in irgendeiner Richtung, kein Gespräch.
    Der Eingriff – Fetozid durch intrakardiale KCL-Instillation - wird wie geplant durchgeführt; nach 2 Tagen Wehen kommt ein kleiner toter Junge zur Welt, der äußerlich völlig gesund aussieht. Offiziell „verliert“ Frau A. ihr Kind in der 32. SSW.

Frau B., 34J., Zahnarzthelferin, wird 1998 nach 2 J. unerfülltem Kinderwunsch spontan schwanger;  in dieser Zeit war sie mehrfach mit ihrem Mann in meiner Praxis zur Beratung, erste Untersuchungen waren durchgeführt; vorausgegangen war ein Abbruch vor 4 Jahren, mit einem anderen Partner. Nach unauffälligem Schwangerschaftsverlauf   entschließt sie sich nach ausführlicher Beratung und langem Überlegen für eine Fruchtwasser-Untersuchung, sie will auf keinen Fall ein behindertes Kind. Der Chromosomen-Befund wird zunächst als unauffällig beurteilt. Eine Woche später kommt gänzlich unerwartet ein Nachbefund: Ein fragliches Mosaik in einzelnen Chromosomen in der Langzeitkultur, das nicht erklärt werden könne. In der genetischen Beratung erfahren Frau B. und ihr Mann, dass keine genaue Aussage möglich sei: Das Kind könne völlig gesund sein – aber auch schwerst behindert ( blind + geistig behindert; V.a. cat-eye-syndrom, es gebe nur einige wenige Fälle in der Weltliteratur), „ Sie müssen entscheiden!“.  Nach einer Woche Bedenkzeit, in der das Paar in Urlaub fährt, Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch. Frau S. ist inzwischen in der 22. SSW; sie erlebt die Austreibung über 2 Tage als extrem traumatisierend. Obwohl das Team der Uni-Klinik vorher mit ihr alles abgesprochen habe, bekommt sie nicht wie gewünscht eine Narkose bei der Geburt. So sieht sie den kleinen toten schönen Jungen, und sagt mir später: „ Ich hätte schreien wollen, gebt ihn mir wieder zurück. Aber es war zu spät.“

Ich lasse beide Geschichten so stehen. Sie können, wenn Sie mögen phantasieren, wie das Leben dieser beiden Frauen weiter ging. Ich erzähle es am Schluss.

Und komme zu meinem Thema :
Zur üblichen Schwangeren-Beratung mit dem Auftrag „Hauptsache es ist gesund“. Die bindenden Mutterschafts- Richtlinien besagen:

  • Allgemein: Durch ärztliche Betreuung sollen "mögliche Gefahren für Leben und Gesundheit von Mutter und Kind abgewendet sowie Gesundheitsstörungen rechtzeitig erkannt und der Behandlung zugeführt werden. Vorrangiges Ziel der ärztlichen Vorsorge ist die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten."
  • Speziell zur Genetik: "Ergeben sich im Rahmen der Mutterschafts-Vorsorge Anhaltspunkte für ein genetisch bedingtes Risiko, so ist der Arzt gehalten, die Schwangere über die Möglichkeiten einer humangenetischen Beratung und/oder humangenetischen Untersuchung aufzuklären."

Was gibt es an Untersuchungen?
Was müssen Frauenärzte gemäß Mutterschaftsrichtlinien konkret machen?
Und was machen sie?
Ich gehe kurz auf die drei wichtigsten Methoden ein, für einige zur Erinnerung, für andere zur Info:

  1. Historisch das erste war die Fruchtwasser-Untersuchung (AC), eingeführt als Kassen- Leistung 1976.  Aus dem durch eine Punktion gewonnenen FW können fetale Zellen kultiviert werden, deren Chromosomen untersucht und häufige Aberrationen wie Trisomie 21 festgestellt werden. Der beste Zeitpunkt ist die 14./15.SSW, das Risiko für das Auslösen einer Fehlgeburt liegt unverändert bei 0,5 – 1%. Eine erste Mitteilung liegt schon nach 24 Stunden vor durch den sog. FISH-Test, das endgültige Ergebnis dauert weiterhin 2- 3 Wochen. Bei „auffälligem Befund“ kann die Schwangere aus medizinischer Indikation einen Abbruch der Schwangerschaft durchführen lassen, wenn sie sich psychisch nicht in der Lage sieht, dass Kind auszutragen. Da sie dann schon in der 18./19.SSW ist, bedeutet das ein künstliches Induzieren von Wehen, bis es zum Ausstoßen kommt.
    Laut Mutterschafts-Richtlinien muss die AC allen Schwangeren ab 35 Jahren angeboten werden. Eine spezielle genetische Beratung vor dem Eingriff ist nicht verpflichtend; die Kosten übernehmen die Kassen.
  2. Der sog. Triple-Test ist seit ca. 10 Jahren in Deutschland zunehmend verbreitet. Im Gegensatz zur AC, die eine genaue Aussage erlaubt über eine genetische Erkrankung, geht es bei dem Triple-Test nur um eine individuelle  Risiko-Abschätzung. Ausgangspunkt der Entwicklung war, dass zwar das Risiko für Trisomie 21 altersabhängig ist, dass aber die Mehrzahl der Kinder mit Trisomie 21 von Frauen unter 35 Jahren geboren wurden. Der Triple-Test ist ein Bluttest – von daher ohne jedes Risiko -, bei dem 3 verschiedene Blutmarker  bestimmt und  mit dem Alter der Frau korreliert werden. Er kann erst ab der 15. SSW durchgeführt werden. ( Bei der Weiterentwicklung, Ersatz des freien Östriol durch PAPP-A, muss die 1.Blutabnahme schon in der 11.SSW erfolgen) . Nach ca. 5 Tagen kommt eine Zahl, 1: xyz, und eine individuelle Risiko-Abschätzung, d.h. „entspricht Ihrem Alters-Risiko“ – oder  „liegt unter dem Risiko einer 19-jährigen“ etc. Die Schwangere muss dann selbst entscheiden, ob ihr das reicht oder ob sie es genau wissen, d.h. eine AC durchführen lassen will. Ab dem Risiko einer 35-jährigen, d.h. 1:385, gilt der Test als auffällig, entsprechend wird dann meist eine AC empfohlen. Zusätzlich zur Risiko-Abschätzung auf genetisch-bedingte Behinderungen gibt der Triple-Test Aussage über das Risiko für einen Spaltbildung, Spina-bifida. Bei erhöhtem AFP-Wert wird weiterführend eine US-Untersuchung vorgeschlagen, die manchmal Aufschluss gibt; auch hier kann zur endgültigen Absicherung eine AC durchgeführt werden
    Der Triple-Test gehört offiziell nicht zur Mu-Vorsorge, auch nicht die Beratung darüber. Er ist aber inzwischen in Deutschland sehr verbreitet und bekannt. Ob eine Ärztin juristisch belangt werden kann, wenn sie darüber nicht informiert, das Kind behindert geboren wird und sie angeklagt wird, wird juristisch kontrovers diskutiert und eher abgelehnt. Eine Gerichtsentscheidung dazu kenne ich nicht.
    Die Kosten sind keine Kassenleistung  - je nach Labor ca. 70.- bis 100.-DM.
  3. Eine dritte Such-Methode in der PND ist die Ultraschall-Untersuchung. Sie wird schon lange gemacht und ermöglicht, Auffälligkeiten der Organe, der Körperform oder der Größen-Entwicklung zu geben. Diese Informationen können Hinweis auf Entwicklungs-Störungen bzw. Behinderung verschiedenster Art sein.
    Die Ultraschall-Untersuchung (US) mit entsprechenden Aufgaben – Beurteilung der Größe, der Vitalität, der Organe, der Entwicklung -  gehört drei Mal in der Schwangerschaft  (ca. 10., 20., 30. SSW) zur deutschen Mutterschafts-Vorsorge und ist entsprechend eine Kassen-Leitung. (Eine Absurdität am Rande: Wenn eine Schwangere kein US wünscht, darf der Kassenarzt die Ziffer 100, die Pauschale für die Betreuung in der Schwangerschaft, nicht abrechnen, da dann die Leistung nicht vollständig erbracht wurde!)
    Neu ist eine Spezial-Such-Methode in der 11./12.SSW: Das Messen der sog. . Nackentransparenz;  eine Nackenfalten-Dicke über 3mm ist eng assoziiert mit einem erhöhten Risiko für  Trisomie 21. Das Suchen nach der Nacken-Transparenz gehört einer kürzlich veröffentlichen offiziellen Leitlinie der DGGG  nicht zur Mu-Vorsorge – allerdings ist es im Mutterpass erwähnt als Fragestellung „Nackenödem“. Eine juristische Klärung – ob es gemacht werden muss oder nicht – kenne ich nicht. Entsprechend dieser DGGG-Leitlinie muss dem Suchen nach dem Nackenödem eine genaue Aufklärung der Schwangeren über die Methode und die evtl. Folgen vorangehen. Wie das dann allerdings gehen soll – z.B.US ja, aber kein Hinsehen auf den Nacken – ist mir ein Rätsel.
    Die Kosten für Ultraschall im Rahmen der 3 vorgeschriebenen Untersuchungen sind Bestandteil der Kassen-Leistung. Viele Gynäkologen bieten „Spezial-Organ-Ultraschall“, auch die Suche nach dem Nackenödem, zusätzlich an als kostenpflichtige Wahlleistung. ( 50.- bis 300.-DM)

Es gibt noch mehr, Chorionzotten-Biopsie, Nabelschnur-Punktion – ich belasse es dabei. Und bin sicher, Sie haben – jedenfalls wenn Sie nicht „vom Fach“ sind – Schwierigkeiten, sich das alles zu merken, bzw. etwas damit anzufangen.
Das alles müsste ich Ihnen zumuten, wenn Sie/ Ihre Partnerin schwanger zu mir kommen. Und schon sehr früh, wenn Sie gerade schwanger sind – denn Sie müssen ja noch Zeit haben zum Überlegen, bevor ich z.B. in der 11.SSW Ultraschall mache.
Oder nicht? Würden Sie lieber nichts wollen?
Aber was ist mit „ Hauptsache es ist gesund!“??

Wie machen das die Gynäkologen und -innen?
Nach meiner Erfahrung – Erhebungen gibt es dazu nicht – gibt es drei Gruppen; Sie unterscheiden sich in ihrer Einstellung zur PND, in der Art der Beziehungs-Ebene und der Verantwortungs-Übernahme. Ich nenne sie

  • Die überzeugten Alles-Macher (paternalistische Beziehung)
  • Die kritischen Verweigerer (mütterlicher Schutz)
  • Die offenen Berater (Partner auf der Suche nach dem "informed consent")

Gruppe 1: Paternalistische Macher
 Ärzte dieser Gruppe sind überzeugt vom Fortschritt für die Frauen im Zusammenhang mit PND. Sie sehen sich in der Pflicht für gesunde Kinder. Sie bemühen sich um Fortbildung, um noch früher + genauer Hinweise entdecken zu können, sind stolz auf ihr gutes US-Gerät, haben sich zusätzlich einen Doppler gekauft. Da sie davon ausgehen, dass alle verantwortlichen Frauen Pränataldiagnostik wollen, führen sie Nacken-Ultraschall und Triple-Test routinemäßig durch, oft ohne vorherige Info der Frau. Wenn etwas auffällig ist, teilen sie das mit mit der Information, sie hätten gleich für den nächsten Tag einen Termin zur weiteren Diagnostik ausgemacht.
Falls eine Frau jegliche PND von sich aus ablehnt, sind sie erstaunt bis verunsichert. Bei Frauen über 35 lassen sie sich die Ablehnung schriftlich bestätigen, oder appellieren an ihre „Verantwortlichkeit“.
Meiner Einschätzung nach ist das die anteilsmäßig größte Gruppe in meiner Berufsgruppe.

Gruppe 2: „Mütterliche Verweigerer“
Diese ÄrztInnen ( m.E. überwiegend weibliche) stehen insgesamt der PND kritisch gegenüber. Sie halten nichts vom Triple-Test und seinen unscharfen und oft nur beunruhigenden Ergebnissen. Sie bieten ihn einfach nicht an, um die Frauen davor zu bewahren.
Weil es vorgeschrieben ist, informieren sie über die AC ab 35 – sind aber erleichtert, wenn eine  Frau das ablehnt. Genauso sind sie froh, wenn sie nie ein Nackenödem entdecken. Auch über diese Suchmöglichkeit informieren sie die Frauen nicht, oder nur peripher. Sie stehen auf der Seite der Frau, dass sie ihre Schwangerschaft möglichst ungestört und in einem sicheren Gefühl erleben kann.
Nach meiner Erfahrung überwiegt bei den Hebammen auch diese Einstellung.

Gruppe 3: Partnerschaftliche Berater„Auf der Suche nach dem informed consent“
Die ÄrztInnen dieser Gruppe haben auch eine eher kritische Haltung zu PND.
Sie sehen sich aber verpflichtet, die Frauen selbst soweit zu informieren, dass sie eine eigene Meinung für oder gegen PND entwickeln können. Oder zu entscheiden, dass sie nichts davon wissen wollen.
Das wollen/können sie ihnen nicht abnehmen.
Wenn Sie an meine Eingangs-Informationen zu  den Möglichkeiten von PND sich erinnern, werden Sie mit mir übereinstimmen, dass das im Praxis-Alltag kaum befriedigend zu lösen ist.
Mir hilft dabei – denn ich verstehe mich zu letzten Gruppe zugehörig – eine Broschüre mit dem Titel „ Was will ich über mein ungeborenes Kind wissen?“ entwickelt von einer Hamburger Frauenärztin in enger Kooperation mit Beratungsstellen, Hebammen, Genetikern und Behindertenverbänden. Da geht es immer wieder darum, in was für Entscheidungssituationen eine Untersuchung bringen kann, bevor sie vorgestellt  wird mit ihren Vor- und Nachteilen. Ich gebe sie als Vor-Info mit, biete dann ein Gespräch an, möglichst mit dem Partner.
Aber eine "gute Lösung" ist auch das nicht.

Ich habe Ihnen die drei typischen Vorgehensweisen vorgestellt, nicht, um die Arbeit der Frauenärzte zu kritisieren, zu diskriminieren, oder zu entschuldigen  - sondern um daran klarzumachen:
So kann es nicht weiter gehen im Umgang mit PND, auch aus der Perspektive der Fachleute, die Schwangerschaften begleiten.
Die derzeitige Situation, die sich im Lauf der letzten 25 Jahre Stück für Stück „eingeschlichen“ hat, stellt eine Überforderung sowohl der Frauen, aber auch des Arztes/ der Ärztin dar.
Unter Zeitdruck und in einer Ausnahmesituation sollen grundsätzliche Fragen von Leben und Tod  besprochen und entschieden werden.
Keiner der drei beschriebenen ärztlichen Wege ist meines Erachtens akzeptabel:

  • In der ersten Gruppe, der der „Macher“, übernehmen Ärzte die Verantwortung, z.T. ohne große Reflektion, indem sie einfach die Untersuchungen durchführen bzw. sehr direktiv nahe legen.  Das gehört ja oft zum beruflichen Selbstverständnis von uns Medizinern. In ihrem Sinn entlasten sie damit die Frauen – bringen sie aber in Panik und in unvorbereitete Entscheidungs-Situationen,, wenn plötzlich etwas gefunden wird und Konsequenzen gefragt sind. (s.1.Fall)
  • Die zweite Gruppe der Verweigerer übernimmt auch Verantwortung – nämlich die, Wissen nicht weiterzugeben. Damit schützen sie die Zeit der „Guten Hoffnung.“ Aber lassen Sie die Frauen nicht auch unmündig?  Sie haben oft genug Angst, juristisch belangt zu werden, wenn es zur Geburt eines behinderten Kindes kommt.
  • Die Ärzte der 3.Gruppe versuchen, die Schwangere in ihrer Autonomie ernst zu nehmen, indem sie sie an ihrem Wissen teilhaben lassen. Nicht nur dass das im Praxis-Alltag fast unmöglich ist – auch diese Haltung kann un-verantwortlich sein, mangelnde Fürsorge: Das „Entscheiden Sie selbst“ kann auch ein Alleinlassen bedeuten. Und das in der Zeit der frühen Schwangerschaft, in der oft körperliche Beschwerden und innere Ambivalenz die Frauen intensiv beschäftigen, und in der liebevolles Umsorgen so besonders wichtig ist.

Einen wirklich guten Ausweg sehe ich derzeit nicht, sondern spüre Ratlosigkeit.
Für die Fachgruppe der FrauenärztInnen steht daher dringlich an, offen zu diskutieren, wie sehr die Pränataldiagnostik ungebeten und ohne offiziellen Beschluss Teil der Mutterschafts-Vorsorge geworden ist. Wir müssen fragen, ob wir diese Vermischung von kurativer Betreuung – denn das ist die normale Mu-Vorsoge - und selektionierender Diagnostik im Rahmen von PND wollen, ob das zu unserem Berufsbild so gehört. Oder ob wir das nicht benennen und ablehnen sollten.
In diesem Zusammenhang finde ich eine  Idee sehr bedenkenswert:
Nämlich grundlegend den Behandlungsauftrag zu klären zwischen Schwangerer und Ärztin.
Dann bedeutete der Auftrag „Hauptsache es ist gesund“:
Alles zu machen, präventiv und kurativ, damit diese Schwangerschaft sicher und gefahrlos für Mutter und Kind sich entwickeln kann.
Für den Auftrag „Ich will kein von der Anlage her behindertes Kind bekommen“ müsste ein getrennter anderer Behandlungsauftrag bewusst geschlossen werden, evtl. mit anderen Personen.
Wie das umzusetzen ist, ob das juristisch geht etc. wäre zu klären
Ich denke, dass eine solche Veränderung aber auf jeden Fall das Problem PND öffentlich präsenter machen würde.

Zum Abschluss wie angekündigt die Fortsetzung der beiden Fall-Vignetten.
Haben Sie überlegt, wie es den Frauen weiter ging?
Was Sie gemacht hätten an Ihrer Stelle ?
Wieder schwanger werden? Und dann?

Frau A., die sich zum Fetozid und Spät-Abort ihres Kindes mit Trisomie 21 entschlossen hatte, hat nie erkennen lassen, dass sie psychische Betreuung danach brauche. Sie hat das mit sich abgemacht. (Ich in meiner Balintgruppe).
Sie wurde zu ihrem und meinem Erstaunen danach noch 2mal in kurzem Abstand schwanger, hat ohne jedes Zögern jeweils eine AC durchführen lassen, und ist jetzt glückliche Mutter zweier gesunder Kinder.
Aus ihrer Sicht war PND ein Segen.

Frau B. hat lange mit Schuldgefühlen gekämpft und Vorwürfe gemacht – sich, den Beratern, der Uniklinik. Sie kam danach zu einigen Beratungsgesprächen in meine Praxis. Sie wollte gleich wieder schwanger werden, war verzweifelt, weil es nicht klappte. Sie bekam Zyklusstörungen, beim Ehepartner war das Spermiogramm nicht in Ordnung. Er wollte keine invasive Behandlung, am liebsten gar nicht mehr über Kinder reden. Worunter sie doppelt litt. Nach weiteren zwei Jahren trat dann doch spontan eine Schwangerschaft ein, die Frau S. allerdings in einer anderen Praxis hat betreuen lassen. Frau S., inzwischen 37Jahre alt, hat jegliche PND in dieser Schwangerschaft abgelehnt, und hat inzwischen ein gesundes Kind geboren.
Sie empfand PND als Fluch.

Öffentliche Diskussion notwendig!
Von einer Tatsache müssen wir ausgehen: Im Gegensatz zur PID, die hoffentlich noch in Deutschland aufgehalten werden kann, ist die PND mit all´ ihren Methoden Realität für Schwangere; diese Entwicklung lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Sie ist innerhalb von 25 Jahren von einer Spezial-Untersuchung für wenige zu einem inoffiziellen Routine-Screening-Programm für nahezu alle Schwangeren geworden. Da hat die Macht des Faktischen die ethische Diskussion überholt. Was uns eine Lehre sein sollte bei der Diskussion um PID, und um die Frage der Begrenzung von PID.
Aber gerade jetzt,  im Rahmen der neuen Diskussion um PID, besteht eine Chance, PND erneut öffentlich zu diskutieren. Ich denke, da sollten auch die Frauenärztinnen und Ärzte ihren Teil dazu beitragen, indem sie die Überforderung in ihrer Praxis ernstnehmen und zusammen mit anderen nach neuen Wegen suchen.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 22.10.2005